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| Quelle: Helmut Mühlbacher |
Ihr Lieben,
heute möchte ich Euch eine Geschichte von Sharon Wajda
erzählen:
„Jemand, der auf mich Acht gibt“
„Die Fahrgäste im Bus schauten sehr freundlich, als die
attraktive junge Frau mit dem Blindenstock vorsichtig einstieg. Sie löste beim
Fahrer eine Fahrkarte, tastete sich im Gang mit den Händen an den Sitzen
entlang und fand den Platz, den der Busfahrer ihr genannt hatte. Dann setzte
sie sich, nahm ihre Aktentasche auf den Schoß und lehnte den Stock an ihr Bein.
Seit einem Jahr war Susan, vierunddreißig, blind. Sie
erblindete infolge einer ärztlichen Fehldiagnose und fand sich plötzlich in
einer dunklen Welt aus Ärger, Frustration und Selbstmitleid wieder.
Susan, einst eine starke und unabhängige Frau +, fühlte sich
nun durch diesen schrecklichen Schicksalsschlag dazu verurteilt, als schwache,
hilflose Person zu einer Last für jeden Menschen um die herum zu werden.
„Wie konnte mir das nur passieren?“, fragte sie sich mit vor
Ärger verschlossenem Herzen. Doch so viel sie auch jammerte, schimpfte und betete, sie kannte die
schmerzende Wahrheit: Sie würde nie wieder sehen können.
Eine tiefe Depression umhüllte Susans einst so optimistischen
Geist. Jeder einzelne Tag wurde zu einer neuen frustrierenden und ermüdenden
Aufgabe. Das Einzige, woran sie sich festhalten konnte, war ihr Mann Mark.
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| Quelle: Astrid Müller |
Mark war Luftwaffenoffizier und liebte Susan von ganzem
Herzen. Als sie gerade ihr Augenlicht verloren hatte, sah er, wie sie in einen
Abgrund der Verzweiflung stürzte, und es war seine Aufgabe, seiner Frau dabei
zu helfen, die erforderliche Kraft und das nötige Vertrauen zu erlangen, um
wieder unabhängig zu werden. Durch seinen
militärischen Hintergrund war Mark gut auf den Umgang mit heiklen Situationen
vorbereitet, und doch wusste er, dass dies die schwierigste Schlacht war, die
er jemals zu schlagen hatte.
Schließlich war Susan so weit, dass sie wieder arbeiten
gehen konnte, doch die Frage war, wie sie dorthin kommen sollte. Normalerweise
nahm sie den Bus, aber nun war sie zu ängstlich, um allein durch die Stadt zu
fahren.
Mark bot ihr an, sie jeden Tag zur Arbeit zu bringen, obwohl
beide an verschiedenen Enden der Stadt arbeiteten. Das tröstete Susan eine
Weile und befriedigte Marks Bedürfnis, seine blinde Frau zu beschützen, die
auch bei der Bewältigung der kleinsten Aufgaben sehr unsicher war.
Mark erkannte jedoch bald, dass diese Regelung nicht
funktionierte – sie war zu zeitraubend und zu kostspielig. Susan musste langsam
wieder anfangen, mit dem Bus zu fahren, gestand er sich selbst ein. Doch allein
der Gedanke, es ihr gegenüber anzudeuten, ließ ihn zusammenzucken. Sie war noch
so zerbrechlich, so ärgerlich. Wie würde sie reagieren?
Susan war – wie Mark es vorausgesehen hatte – von der Idee,
wieder mit dem Bus zu fahren, geschockt. „Ich bin blind!“, rief sie erbittert. „Wie
kann ich wissen, wo ich hinfahre? Ich fühle mich, als würdest Du mich
verlassen.“
Diese Worte brachen Mark fast das Herz, aber er wusste, was
zu tun war. Er versprach Susan, dass er jeden Morgen und jeden Abend zusammen
mit ihr im Bus fahren würde, so lange, bis sie es gelernt hätte.
Er brachte sie selbst an jenen nicht so erfreulichen Tagen
zum Lachen, an denen sie aufgeregt gegen den Bus lief oder ihre Aktentasche
voller Papiere mitten im Gang fallen ließ. So fuhren sie jeden Morgen zusammen
mit dem Bus und Mark nahm dann ein Taxi zurück zum Büro.
Obwohl diese tägliche Fahrt noch teurer und ermüdender war
als die vorherige Lösung, wusste Mark, dass es nur eine Frage der Zeit sein
war, bis Susan allein mit dem Bus fahren könnte. Er glaubte an Susan, die er
kannte, bevor sie das Augenlicht verloren hatte, die sich vor keiner
Herausforderung fürchtete und niemals aufgab.
Schließlich entschied Susan, dass sie es wagen könne, allein
zu fahren. Als es so weit war, am Montagmorgen, schlang sie vor dem Verlassen
des Hauses die Arme um Mark, ihren treuen Busgefährten, ihren Ehemann und
besten Freund. Tränen der Dankbarkeit für seine Unterstützung, seine Geduld und
Liebe traten in ihre Augen. Sie verabschiedete sich und sie gingen zum ersten
Mal jeder seinen Weg.
Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag… An jedem Tag, an dem
sie allein unterwegs war, klappte alles perfekt und Susan lebte sichtlich auf.
Sie schaffte es! Sie fuhr ganz allein zur Arbeit!
Am Freitagmorgen fuhr Susan wie gewöhnlich mit dem Bus zur
Arbeit. Als sie aussteigen wollte, sagte der Busfahrer zu ihr: „Sie sind
wirklich zu beneiden!“
Susan war sich nicht sicher, ob der Busfahrer das Wort an
sie gerichtet hatte. Denn wer in aller Welt würde eine blinde Frau beneiden,
die sich gerade einmal mutig dazu durchgerungen hatte, das letzte Jahr zu
überstehen. Neugierig fragte sie den Fahrer: „Warum meinen Sie, dass ich zu
beneiden bin?“
Der Fahrer antwortete: „Es muss wirklich ein schönes Gefühl
sein, so umsorgt und beschützt zu werden wie Sie.“ Susan wusste nicht, wovon er
sprach, und fragte ihn deshalb erneut: „Was meinen Sie damit?“
Der Fahrer erwiderte: „Während der letzten Woche stand jeden
Morgen ein gut aussehender Mann in Militäruniform an der gegenüberliegenden
Straßenecke und beobachtete Sie, während Sie aus dem Bis stiegen. Er überzeugte
sich, dass Sie sie Straße sicher überquerten und schaute so lange hinter Ihnen
her, bis Sie das Bürogebäude betraten. Dann warf er Ihnen einen Handkuss zu,
grüßte und ging davon. Sie sind wirklich eine glückliche Frau.“
Tränen der Freude liefen über Susans Wangen. Obwohl sie ihn
physisch nicht sehen konnte, hatte sie Marks Anwesenheit die ganze Zeit über gespürt.
Sie war froh, so froh, weil er ihr ein Geschenk gemacht hatte, das kraftvoller
war als ihr Augenlicht, ein Geschenk, das sie nicht zu sehen brauchte, um daran
zu glauben: Das Geschenk der Liebe, das dorthin Licht bringt, wo vorher
Dunkelheit war.“
Ihr Lieben,
diese Geschichte hat mich sehr berührt. Nicht nur wegen der
Liebe dieser beiden jungen Menschen, sondern vor allem, weil wir viel aus
dieser Geschichte lernen können.
Jeder von uns kann von einem Schicksalsschlag getroffen
werden, jeder kann in Not geraten oder schwer erkranken. Dann geht es uns wie
der jungen Frau: Wir sind ärgerlich, wir hadern mit dem Schicksal oder Gott und
fragen: „Warum trifft es gerade uns?“ „Wie kann Gott so etwas zulassen?“
Ich kann Euch auf diese Fragen auch keine befriedigende
Antwort geben, aber ich bin davon überzeugt, aber gleichzeitig bin ich davon
überzeugt, dass wir geborgen sind, dass jemand da ist, der auf uns Acht gibt,
dem wir nicht egal sind, der an unserem Leben und unserem Ergehen Anteil nimmt.
Ohne diese Gewissheit, ohne diese Geborgenheit könnte ich nicht so ruhig und
gelassen leben.
Ein Zweites ist aber ebenso wichtig: Wenn wir in Not
geraten, wenn wir von einem Schicksalsschlag getroffen werden wie die junge Frau,
wenn wir schwer erkranken, dann ist das Beste, das wir tun können – so unglaublich
das klingt – uns mit der Not, dem Schicksalsschlag, der Krankheit anzufreunden.
Wenn wir gegen den Schicksalsschlag, die Not, die Krankheit
kämpfen, dann schaden wir nur uns selbst. Der Ärger, das Hadern, der Frust vergiften
unser Herz und unsere Seele und hindern, dass wir an Leib und Seele gesunden
können.
Sich mit der Not, dem Schicksalsschlag, der Krankheit
anzufreunden, bedeutet nicht, sich damit für alle Zeiten abzufinden, das wäre
ein Missverständnis. Es bedeutet, zur Ruhe zu kommen, sich zu erholen, neue
Kräfte zu sammeln, die Ist-Situation anzunehmen, im wahrsten Worte das Beste
daraus zu machen und dann daran zu arbeiten, dass die Not gelindert, der
Schicksalsschlag überwunden, die Krankheit besiegt wird. Sicher wird das nicht
in allen Fällen gelingen, aber es erleichtert unser Herz, lindert die Schmerzen
unserer Seele und lässt und hoffen und zuversichtlich sein.
Wenn wir anderen Menschen in einer Not, bei einem
Schicksalsschlag, bei einer Krankheit helfen wollen, dann sollten wir so
handeln wie der junge Mann in unserer Geschichte.
Wir sollten dem, der unsere Hilfe braucht, unsere Hilfe
zukommen lassen.
Entscheidend ist, dass wir ihn aber nicht von unserer Hilfe abhängig machen, sondern dafür sorgen, dass er lernt, sich selbst helfen zu können, sich selbst zu vertrauen.
Entscheidend ist, dass wir ihn aber nicht von unserer Hilfe abhängig machen, sondern dafür sorgen, dass er lernt, sich selbst helfen zu können, sich selbst zu vertrauen.
Derjenige hilft anderen Menschen am besten, der Hilfe zur Selbsthilfe
leistet und sich dabei voll Liebe im Hintergrund hält, um, falls es nötig
werden sollte, jederzeit eingreifen zu können.
Bei der Überwindung einer Not, eines Schicksalsschlages,
einer Krankheit ist die Liebe ohnehin eine der wichtigsten Hilfen, die wir
einem anderen Menschen angedeihen lassen können.
Liebe hilft dem anderen Menschen und respektiert ihn.
Liebe hilft dem anderen Menschen und entmündigt ihn nicht.
Liebe möchte den anderen Menschen ermutigen und in ihm Hoffnung und Zuversicht wecken.
Liebe hat Acht auf den anderen Menschen, damit es ihm gut geht.
Liebe hilft dem anderen Menschen und entmündigt ihn nicht.
Liebe möchte den anderen Menschen ermutigen und in ihm Hoffnung und Zuversicht wecken.
Liebe hat Acht auf den anderen Menschen, damit es ihm gut geht.
Ich wünsche Euch eine Woche der Freude, der Zuversicht und
Hoffnung, eine Woche der Hilfsbreitschaft und Freundschaft, eine Woche der
Geduld und der Beharrlichkeit und ich grüße Euch herzlich aus Bremen
Euer fröhlicher Werner
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| Quelle: Karin Heringshausen |








Hallo Werner,
AntwortenLöschenich habe schon viele deiner Geschichten gelesen, aber diese ist wirklich besonders :-)
Gerade denke ich, dass ich genau das Passende gefunden habe ... ohne danach zu suchen. Fügung :-)
Danke dir vielmals und viele Grüße aus Osthessen.
Klaudyna