ich möchte Euch heute Abend eine Geschichte von Petra Hillebrandt
erzählen:
„Die beiden Eichen“
„Weißt Du noch?, flüsterte Anne ihrem Mann Oskar ins Ohr,
„wie alles begonnen hat?“ Lächelnd nickte der alte Mann und gab seiner Frau einen innigen Kuss. Dann
setzten sich beide auf die Bank unter den Eichen und erinnerten sich.
Sechszehn Jahre alt war Anne damals und Oskar hatte gerade
seinen siebzehnten Geburtstag gefeiert. Obwohl sie sich gerade erst auf dem
Jahrmarkt kennengelernt hatten, wussten die beiden in ihrem Herzen, dass sie
zusammengehörten.
Gemeinsam waren sie über den Markplatz ihres kleinen Ortes
geschlendert. Plötzlich hatte Anne gerufen: „Schau! Da vorne wird ein
Wettbewerb veranstaltet, und ehe Oskar so recht wusste, wie ihm geschah, hatte
sie ihn schon zu einem nahegelegenen Feld gezerrt, auf dem sich bereits etliche
Schaulustige versammelt hatten.
Auf einer Bank stand ein Mann – es war der Besitzer des
Feldes – mit zwei Eicheln in seiner Hand. Sein lautes Geschrei erregte großes
Aufsehen. „Kommt und seht! Das sind Liebeseicheln“, rief der Mann. „Wer traut
sich zu, ein Denkmal für die nächste Generation zu setzen?
Auf dieser Bank
sollen einmal Liebespaare sitzen und es gemütlich haben. Das ist aber natürlich
nur dann möglich, wenn hier ein lauschiges Plätzchen entsteht. Zwei mächtige
Eichen sollen den darunter sitzenden Liebespaaren Schatten spenden. Wer findet
den richtigen Abstand, den diese Eichen brauchen gemeinsam wachsen und zusammen
alt werden zu können? Kommen Sie ruhig näher und geben Sie Ihren Tipp ab. Unser
Gärtner Adalbert ist der Schiedsrichter und wird feststellen, wer die Aufgabe
am besten gelöst hat.“
Nacheinander traten die Teilnehmer vor und legten die
Eicheln nach ihren Vorstellungen auf die Erde. Die Entfernungen der
verschiedenen Vorschläge reichten von 50 Zentimetern bis zu zwei Metern. Oskar
war der Letzte, der seinen Tipp abgab. Als er jedoch die zwei Eicheln im
Abstand von fünf Metern auf die Erde legte, da begannen die Anwesenden lauthals
zu lachen.
Doch der alte Gärtner trat vor und grub die Eicheln genau
dort ein, wo Oskar sie hingelegt hatte. Lächelnd sagte er: „So können sich die beiden Eichen gut entwickeln. Jeder
bleibt ein eigenständiger Baum. Keiner nimmt dem anderen die Luft zum Atmen,
die Wurzeln behindern einander nicht. Und trotzdem werden die Bäume eine
Gemeinschaft bilden, denn wenn der Wind über sie hinweg streicht, dann werden
sich ihre Äste sanft berühren.“
Das alles ist jetzt knapp sechzig Jahre her. In Gedanken
versunken sitzen Anne und Oskar unter den beiden mächtigen Eichen und horchen
auf das leichte Knarren der Äste, die sich in luftigen Höhen begegnen.“
Ihr Lieben,
in unserer heutigen kleinen Geschichte ist davon die Rede, dass die beiden Eichen ein „Denkmal“ für die nächste Generation sein sollen. Die meisten Menschen halten ein Denkmal für etwas, das man bewundern soll. Aber das stimmt nicht. In dem Wort „Denkmal“ steckt das Wort „denken“.
Ein Denkmal ist also im Grunde etwas, das uns einen Denkanstoß geben soll.
In unserer heutigen Geschichte steckt eine tiefe Wahrheit.
Viele Menschen glauben, eine gute Beziehung, eine tiefe Liebe, eine enge Freundschaft zeige sich darin, dass die beiden Menschen, die in einer Beziehung leben, die sich lieben oder befreundet sind, so viel wie möglich zusammen sind und fast alles gemeinsam machen.
Es gibt immer wieder Liebespaare und Freundschaften, die nach dem Motto funktionieren: „Wo Du hingehst, da will ich auch hingehen!“
Schon als Jugendlicher habe ich von meinem geliebten Großvater gelernt, wie wichtig ein Freiraum in einer Freundschaft ist.
Er sagte eines Tages zu mir: „Mein lieber Junge, eine Freundschaft ist etwas Wundervolles und Besonderes. Wenn Du aber jeden Tag mit Deinem Freund oder Deinen Freunden zusammen bist, dann ist die Freundschaft nichts Besonderes mehr, sondern etwas Alltägliches und daran wird sie sterben!“
Wenn wir in einer Gemeinschaft glücklich werden wollen, sei es in einer Liebesbeziehung oder einer Freundschaft, dann ist es für den Erhalt dieser Liebesbeziehung oder der Freundschaft wichtig, dass wir uns und dem anderen einen Freiraum einräumen, damit weder unsere noch seine Bedürfnisse zu kurz kommen.
Mein Großvater hatte von daher einen wundervollen Rat für Ehepaare:
„Wer möchte, dass eine Ehe lange hält und belastbar ist, der sollte Folgendes beherzigen:
Die uns zur Verfügung stehende Zeit sollten wir, abzüglich unserer Arbeitszeit, dazu nutzen, um zu etwa einem Drittel mit unserer Partnerin, unserem Partner zusammen zu sein, um uns zu einem Drittel unseren Kindern zu widmen und um zu einem Drittel unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen.“
![]() |
| Quelle: Helmut Mühlbacher |

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen