Sexueller Missbrauch soll nicht mehr verjähren
Nach einem Urteil des Landgerichts Osnabrück können  Traumatisierte auf Schadenersatz hoffen – selbst wenn der Fall lange  zurückliegt.
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 - Ein Gerichtsurteil gibt Opfern von sexuellem Missbrauch neue Hoffnung auf Schadenersatz. Scheiterten Klagen gegen die Täter bislang meist daran, dass die weit zurückliegenden Taten zivilrechtlich verjährt waren, so urteilte nun das Landgericht Osnabrück, dass die Verjährungsfrist von drei Jahren erst dann beginnt, wenn das Opfer die Verdrängung der Taten überwindet und sich daran erinnert.
 - Damit könnten traumatisierte Opfer die Chance erhalten, für Missbrauch in ihrer Kindheit finanziell entschädigt zu werden.
 
In dem Osnabrücker Urteil vom 29. Dezember 2010, das jetzt zugestellt  wurde und "Welt Online" vorliegt, geht es um einen 1976 geborenen Mann,  der zwischen 1985 und 1990 mehrfach von einem Nachbarn seiner  Großeltern sexuell missbraucht wurde. Damals offenbarte sich das Kind  seiner Großmutter, fand bei ihr aber kein Gehör. Wegen dieser Abweisung  und der Schwere der Taten sei bei dem Opfer eine posttraumatische  Belastungsstörung entstanden, befand ein vom Gericht bestellter  Gutachter: Das Opfer habe „konsequent die erlebte Traumatisierung  verdrängt“. 
Opfer muss von Tat Kenntnis haben
 Erst als 2005 die Schwester des Opfers das Thema ansprach, brach bei dem  Mann die Verdrängung auf. In der Folge verklagte er den Täter, der den  Missbrauch vor Gericht im Grundsatz auch nicht bestritt, sich aber auf  die Verjährung berief. 
Dagegen argumentierte das Gericht, dass die  Verjährungsfrist erst beginne, wenn das Opfer von der Tat eine Kenntnis  habe, die rechtliche Schritte überhaupt ermögliche. Diese Kenntnis sei  beim Opfer erst nach dem Ende der Verdrängung entstanden. Somit habe die  Verjährungsfrist Ende 2005 begonnen, und weil bis 2008 Klage  eingereicht wurde, seien die Taten nicht verjährt. Der Täter wurde zur  Zahlung von 7500 Euro plus Zinsen verurteilt. 
 Dieses Urteil, zu dem laut einem Gerichtssprecher eine Berufung erwartet  wird, könnte der Diskussion über die Entschädigung von  Missbrauchsopfern eine neue Wendung geben. Bisher konzentrierte sich die  Debatte auf gesetzliche Regelungen, nach denen die mit dem 21.  Geburtstag des Opfers beginnende Verjährungsfrist von drei auf 30 Jahre  erhöht werden soll. 
Bundesjustizministerin Sabine  Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lässt dazu derzeit ein Gesetz  erarbeiten, die SPD hat bereits einen eigenen Entwurf eingebracht. Doch  nach dem Osnabrücker Urteil müssten traumatisierte Opfer jene  Fristverlängerung nicht in jedem Fall abwarten. 
Urteil einzige Option auf Entschädigung
 „Die Entscheidung kann Hoffnung für viele Hundert, vielleicht Tausende  Menschen sein“, sagte der Anwalt des Osnabrücker Klägers, der Meppener  Jura-Professor Bernhard Weiner, der an der niedersächsischen  Polizeiakademie Opfer- und Verletztenrecht lehrt. 
Bestätigt wird Weiner  vom Opferverband „Gegen Missbrauch“. Dessen Vorsitzender Ingo Fock sagte  "Welt Online“, dass „80 Prozent unserer Mitglieder das Erlittene oft  jahrelang verdrängt und sich erst nach einem äußeren Anstoß wie der  Missbrauchs-debatte im vergangenen Jahr bewusst gemacht haben“. Daher  könne der in Osnabrück gewiesene Weg für ältere Opfer „die einzige  Option sein, Entschädigungen zu erhalten“. 
 Dennoch hält es Fock für unerlässlich, dass die Verjährungsfrist „auf 30  Jahre erhöht oder ganz aufgehoben wird“. Eine Entschädigung für Fälle  aus der Kindheit dürfe nicht allein an den Nachweis gebunden werden,  dass die Taten komplett verdrängt wurden. Auf gutachterliche Prozeduren  will es auch die SPD nicht ankommen lassen. Deren Rechtspolitikerin  Christine Lambrecht sagte der „Welt“: „Den Menschen, die so etwas  erlitten haben, sind wir es schuldig, die Verjährungsfristen rückwirkend  auf 30 Jahre heraufzusetzen.“ 
- Quelle: WELT-Online 07.02.2011
 

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