3080 Geschichten


Auf dem ESELSKIND-Blog stehen inzwischen 3.087 Geschichten und zwei Mal in der Woche kommen weitere hinzu.

Ich wünsche jeder Leserin und jedem Leser recht viel Freude beim Lesen der Geschichten und ich hoffe, dass Euch die Geschichten ein wenig ermutigen und Euch veranlassen, niemals aufzugeben, denn denkt bitte immer daran:
Ihr seid etwas Besonderes, Ihr müsst nur Eurer Licht zum Leuchten bringen


Euer fröhlicher Werner aus Bremen

Sonntag, 23. Januar 2011

Missbrauchsskandal -- "Schöne Leitlinien reichen nicht"

Missbrauchsskandal

"Schöne Leitlinien reichen nicht"

Welche Konsequenzen hat der Missbrauchsskandal der Kirche gebracht, der vor einem Jahr bekannt wurde? Ein Interview mit Christine Bergmann, der obersten Kämpferin der Bundesregierung gegen den sexuellen Missbrauch.


BZ: Frau Bergmann, die Debatte um die Missbrauchsfälle ist leiser geworden. War es nur ein Strohfeuer?

Bergmann:
Nein, sicher nicht, aber die Debatte hat sich verändert. Als Anfang 2010 die spektakulären Fälle aus kirchlichen und weltlichen Einrichtungen bekannt wurden, war die Diskussion sehr intensiv. Jetzt geht es um Konsequenzen aus diesen Vorfällen: Was müssen wir tun, um Kinder besser zu schützen? Das ist nicht mehr so aufsehenerregend. Zudem ist Missbrauch kein angenehmes Thema, aber wir können es uns nicht ersparen, weiter darüber zu reden. Das dient dem Schutz der Kinder.

BZ:
Hat die Gesellschaft aus der Diskussion etwas gelernt?

Bergmann:
Es hat sich einiges zum Positiven geändert. Ein Beispiel: In Berlin gab es jüngst Kindesmissbrauch auf einer Intensivstation. Furchtbar, wo soll ich mich überhaupt noch sicher fühlen, wenn nicht einmal dort? Doch wie reagiert wurde, dass dem Kind geglaubt wurde, dass die Klinik sofort gehandelt und nach außen Stellung bezogen hat, das stimmt mich optimistisch.

BZ: Der gefährlichste Ort für Kinder ist nicht das Internat oder die Intensivstation, sondern die Familie.

Bergmann:
Das ist kein neues Thema. Wir haben schon vor 20 Jahren über Missbrauch in der Familie gesprochen. Auch bei der telefonischen Anlaufstelle melden sich immer mehr Betroffene, denen Leid in den Familien widerfährt. Die Frage ist: Wie kann man Kinder dort schützen? Wo finden sie Ansprechpartner? Wo finden sie Hilfe? Wer achtet auf die Zeichen? Wir brauchen eine Präventionskette, die in der Kita beginnt. Hier gibt es noch eine Menge zu tun.

BZ:
Es heißt, ein Kind muss sich an sieben Erwachsene wenden, bevor ihm geglaubt wird.
 
Bergmann: In vielen Fällen, die uns vorliegen, erzählen die Betroffenen: Wir haben versucht Hilfe zu bekommen, aber uns ist nicht geglaubt worden. Sie sind sogar noch dafür bestraft worden, ihnen wurde die Schuld zugeschoben. Das Ansehen der Institution, das Ansehen der Familie durfte nicht infrage gestellt werden. Das ist ein Thema, das alle Einrichtungen, die mit Kinder und Jugendlichen arbeiten, angeht – von der Kita über den Sportbund und bis zu den Musikschulen.

BZ:
Wie groß ist der politische Wille zur Veränderung? Beim Thema Verjährung ist von einer Verlängerung oder Abschaffung der strafrechtlichen Fristen plötzlich keine Rede mehr.

Bergmann:
Der politische Wille ist vorhanden. Für die Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen gibt es bereits einen Gesetzesentwurf. Beim Strafrecht wird noch diskutiert. Es gibt Standards zur Prävention, doch die müssen noch verbindlicher werden. Es reicht nicht, wenn jemand eine schöne Leitlinie auf dem Papier stehen hat. Wir müssen erreichen, dass sich die Einrichtungen tatsächlich mit dem Thema Missbrauch befassen – entweder über die Förderung oder über eine überprüfbare Zertifizierung.

BZ:
Der Kampf gegen den sexuellen Missbrauch kostet Geld. Viele Beratungsstellen sind am Ende ihrer Möglichkeiten.

Bergmann
:
Gerade jetzt suchen mehr Betroffene Rat, fragen mehr Institutionen nach Fortbildung. Die Beratungsstellen brauchen eine stabile öffentliche Finanzierung. Sie dürfen nicht bei jeder Haushaltsberatung bangen müssen, ob die nächste halbe Stelle bewilligt wird. Zudem gibt es Lücken. Es fehlen zum Beispiel Beratungsstellen für Männer, die als Kind missbraucht worden sind, und für Erwachsene, die oft erst nach Jahrzehnten über das Erlebte sprechen können und jetzt Hilfe suchen.

BZ:
Wer soll das zahlen? Die Kommunen, die Länder, der Bund?

Bergmann:
Alle drei sitzen am Runden Tisch. Die Kommunen, das wissen wir aber alle, können es alleine nicht tragen.

BZ:
Die wohl schwierigste Frage ist die Entschädigung der Opfer.

Bergmann
:
Allen Betroffenen ist sehr wichtig, dass anerkannt ist, dass ihnen Unrecht geschehen ist. Viele wollen eine Entschädigung, manche möchten die Kosten für Therapien erstattet sehen, andere waren nicht oder nur bedingt arbeitsfähig. Sie wünschen sich eine finanzielle Hilfe.

BZ:
Wie hoch könnte solch eine Entschädigung sein?

Bergmann:
Kein Geld der Welt kann das Leid gutmachen. Aber es wird auch als symbolische Anerkennung erwartet und um die meist schweren Folgen des Missbrauchs zu mildern. Zudem müssen wir eine Lösung finden, die für alle gilt – für Betroffene in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen und in Familien. Auch in anderen europäischen Ländern und in den USA hat man sich in der Entschädigungsfrage mit den Institutionen beschäftigt, aber der Bereich der Familie war dort nicht Gegenstand der Debatte. Bei diesem Punkt stehen wir noch am Anfang.

BZ:
Viele Betroffene verlieren die Geduld. Sie wollen eine Lösung sehen.

Bergmann:
Die Institutionen, die für den Missbrauch in ihren Reihen verantwortlich sind, könnten durchaus mit gutem Beispiel vorangehen und eigene Regeln für Entschädigungen aufstellen. Sie müssen nicht auf den Vorschlag des Runden Tisches warten.

BZ:
Wann werden Sie ihren Vorschlag vorstellen?

Bergmann:
Ende April, Anfang Mai wird der Endbericht mit den Empfehlungen vorgestellt. Da werden auch Empfehlungen zu finanziellen Hilfen dabei sein.

BZ:
Sie haben gefordert, dass der Papst sich bei seinem Deutschlandbesuch im September bei den Opfern entschuldigen soll.

Bergmann
:
Um meine Erwartungen geht es nicht. Die Betroffenen, die Botschaft kommt bei uns schon an, haben schon diese Erwartung. Sie leiden ja auch darunter, dass dies in ihrer Kirche passiert ist. Ich verstehe diese Erwartungshaltung.

BZ:
Und wie geht es mit der unabhängigen Anlaufstelle weiter?

Bergmann:
Mein Auftrag endet mit den Empfehlungen. Unabhängig von meiner Person wird eine solche unabhängige Stelle gebraucht, in der es erfahrene Fachkräfte gibt, die eine Erstberatung anbieten und weiterhelfen können. Viele Betroffene möchten sich nicht an die Institution wenden, in der sie missbraucht wurden.

Quelle: Badische Zeitung Online 23.01.2011

                                                                             

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